Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns by Wolfgang Luehrs

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns by Wolfgang Luehrs

Autor:Wolfgang Luehrs [Luehrs, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783895337666
Herausgeber: Verlag Die Werkstatt
veröffentlicht: 2011-05-14T22:00:00+00:00


EIN TRÜBER TAG

MITTWOCH, 21. MAI

LEIENFELS – GRÄFENBERG (FRÄNKISCHE SCHWEIZ), 26 KM

Ein bleigrauer Himmel hängt über dem nassen Tal, es pieselt. Klamm und mit gedeckter Laune packen wir unsere feuchten Klamotten zusammen, die Fröhlichkeit vom Vorabend ist dahin. Ein kleiner Apfel und ein wenig Traubenzucker als Energielieferanten, und ab geht’s durch den Nieselregen in das feuchtkühle, fränkische Land hinein. Oh, wie liebevoll es uns zunickt und sich gleichzeitig unserem Zugriff entzieht, glitschig und feucht, wie es ist. Verfluchte Scheiße, das macht jetzt wirklich keinen Spaß! Und dann gleich auch noch einen steilen Hügel hinauf, durch das völlig verpofte Nest Leienfels. Niemand auf der Straße, die Häuschen ducken sich kummervoll, und auch wir schleichen traurig und nass durch die Gassen.

Irgendwo soll es hier einen Felsen mit einer Burg oder Burgruine geben. So viel wir auch gucken, wir sehen nichts. Ein feuchter Schleier hat das Land verhüllt. Selbst der Weg will nicht mehr weiter und endet vor einem Privatgrundstück. So stehen wir nun im Regen und wissen nicht so recht, was wir tun sollen. Schließlich öffnen wir die Pforte zu dem Privatgelände und gehen durch den Garten hinter das Haus. Tatsächlich führt der Weg dort wieder in den Wald hinein und natürlich den Berg hinab. So sind wir, ohne zu frühstücken, ganz umsonst einen Berg hinauf- und dann wieder hinuntergegangen. Besser wär’s, wir wären gleich drum herum gelaufen.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weitere vier Kilometer durch den düsteren Morgen bis zum nächsten Dorf zu wandern, in der Hoffnung auf ein gigantisches Frühstück und darauf, dass der Himmel aufreißt und der Frühling wieder Einzug hält.

Es ist totenstill, die diesige Feuchtigkeit schluckt jedes Geräusch, selbst die Vögel haben sich verkrochen. Der Blick geht in schwere, dunkle Wälder und über nasse, sich im Nieselschleier verlierende Felder. Ab und zu ein Dorf. Geduckt und müde liegt es zwischen den Äckern. Bergauf, bergab wandern wir mit leerem Magen und leerem Kopf durch kühlverregnetes deutsches Land. So kann es auch sein. Und dann läuft man gegen den Hunger, gegen die Müdigkeit, gegen die Lustlosigkeit und eine aufkommende Melancholie an. Fast zweieinhalb Stunden sind seit dem Aufbruch heute Morgen vergangen. Die Beine bewegen sich mechanisch, alles andere befindet sich im Standby-Modus.

Endlich erreichen wir Obertrubach, und das Paradies tut sich auf – mit einer Zweigstelle göttlicher Köstlichkeiten in einem Gasthof. Für sechs Euro dürfen wir uns über das Frühstücksbuffet hermachen. Es bietet alles, was der Magen begehrt, und wir langen ausgehungert zu. Nach zwei Übernachtungen im Freien und dem Sauwetter heute Vormittag fühlen wir uns wieder mal wie Abenteurer, die aus der Wildnis kommend auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation treffen.

Neugierig werden wir von den Gästen, einer Wandergruppe, beäugt und sind schon bald in ein Gespräch verwickelt.

Als sie erfahren, dass wir durch Deutschland wandern und schon so lange unterwegs sind, behandeln sie uns beinah wie Gurus, mit Bewunderung und Respekt, aber auch mit dem Anspruch teilzuhaben. Sie interessiert der Weg, wie wir miteinander auskommen, wie viel wir mitschleppen, ob ich meine Erfahrungen aufzeichne, und insbesondere, was es mit dem GPS-Gerät auf sich hat.



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